NATO-Osterweiterung: Legt die ZEIT Gorbatschow erfundenes Zitat in den Mund?

NATO-Osterweiterung: Legt die ZEIT Gorbatschow erfundenes Zitat in den Mund?

zon-logoMichail Gorbatschow ist im Westen ein Held und in der Heimat ein Verräter. Wenn er sich über die deutsche Wiedervereinigung äußert, und den damit verbundenen Vormarsch der NATO nach Osten, muss man immer bedenken, dass er in dieser Frage nicht Unbefangen ist, sondern im eigenen Land ein Angeklagter.

Die Vorstellung, eine NATO-Osterweiterung sei damals nicht Thema gewesen, weil der Warschauer Pakt noch existierte, ist vollkommen abwegig. Zum einen, weil der Warschauer Pakt längst bröckelte, zum anderen, weil sich immer noch atomwaffen-strotzende Gegner gegenüberstanden, die sich jahrzehntelang mit totaler Vernichtung gedroht hatten. Dass diese nun angesichts des Zusammenbruchs der DDR nicht über die Zukunft der beiden Bündnisse gesprochen haben sollen, ist eine ziemlich realitätsferne Annahme. Wenn Gorbatschow sich derartig äußert, muss einem klar sein, dass er sich selbst verteidigt. Wenn Genscher sich heute ähnlich äußert, dann einerseits deshalb, um Gorbatschow beizuspringen, andererseits, um NATO-Interessen zu vertreten.

Diese NATO-Interessen liegen aber zweifellos in der aktuell vorangetriebenen, weiteren Ausdehnung hin zu Russlands Grenzen und die NATO-Medien, wie ARD und ZDF und die versammelte Mainstreampresse, haben deshalb ein handfestes Interesse, damals möglicherweise gegebene Zusagen an Russland, zu negieren. Hier treffen sich also die Interessen der NATO und Gorbatschows.

Das ZDF heute-journal sendete gestern ein Interview, in dem Gorbatschow die sprachliche Vorgabe des Interviewers übernahm, es sei ein Mythos, dass die Sowjetunion/Russland bezüglich der Nato-Osterweiterung betrogen wurde.

Dieses Interview steht im Zusammenhang mit zuvor geäußerten Vorwürfen Gorbatschows an den Westen. Dieser hätte den Zerfall des Warschauer Pakts zur Expansion ausgenutzt und damit das Vertrauen Russlands untergraben.

ZDF_GorbatschovDie ZEIT berichtet in einem Agenturartikel über das im gestrigen heute-journal gesendete Interview mit Gorbatschow und streut ein angebliches Zitat Gorbatschows ein, das dort – zumindest in der ausgestrahlten Version – nicht gefallen ist.

PS-Leser jaba hat genau aufgepasst und im Propagandamelder geschrieben:


 zeit_gorbatschowZDF // ZEIT ONLINE legt Gorbatschow ein falsches Zitat in den Mund.

Artikel vom 09.11.2014, 00:00 Uhr, Autor unbekannt (Redaktionskürzel mhi)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-11/nato-osterweiterung-gorbatschow

ZEIT ONLINE nennt als Primärquelle einen Beitrag im ZDF-heute-journal vom 08.11.2014. Das Transkript des Beitrags mit Link zur Mediathek:
http://www.notehub.org/2014/11/9/der-traurige-held-der-perestroika

ZEIT ONLINE zitiert Michail Gorbatschow wie folgt:

>”Keine Stationierung von Atomwaffen, keine Nato-Truppen, Reduzierung der Bundeswehr. Hier wurde alles erfüllt und wird erfüllt”, sagte Gorbatschow.<
Screenshot ZO-Artikel, 2014-11-09 03:00 Uhr: http://imgur.com/z2HpXwX

Im ZDF-Beitrag kommt dieses Zitat an keiner Stelle vor. Durch den Nachsatz, hier sei (implizit: durch den Westen!) alles erfüllt und es werde alles erfüllt, suggeriert ZEIT ONLINE dem unbedarften Leser, Gorbatschow übe sanfte Kritik an der russischen Regierungspolitik.

Den zweiten Kern von Ignaz Lozos sachlich wirkendem ZDF-Beitrag, wonach Gorbatschow gestern in Berlin tatsächlich massive Kritik an der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik seit Ende des kalten Krieges übte, verschweigt ZEIT ONLINE.

ABER: Der sachlich wirkende ZDF-/Lozo-Beitrag wirkt aber umso propagandistischer, wenn man das heranzieht, was der Beitrag nicht anspricht: u. a. die öffentlichen Äußerungen von Hans-Dietrich Genscher Anfang der 90er zur Nato-Osterweiterung. Gorbatschows Aussagen beziehen sich ausschließlich auf seine Zeit als Staatschef bzw. Präsident der UdSSR, und alleine darum geht es autosuggestiv im ZDF-Beitrag; alleine um die Zeit von 1989/90, als der Warschauer Pakt noch existierte; allein darauf bezieht sich auch der vom ZDF befragte Marschall Dmitri Jasow, der letztlich offen keine sichere Antwort auf die Frage geben kann. In seiner Bauchbinde steht: “Verteidigungsminister Sowjetunion 1978-1991″ — im Amt war er aber von 1987 bis 1991: http://en.wikipedia.org/wiki/Dmitry_Yazov
Der Warschauer Pakt wurde faktisch am 25.02.1991 aufgelöst, formal zum 01.07.1991: http://en.wikipedia.org/wiki/Warsaw_Pact#End_of_the_Cold_War

Dieser Zahlendreher in der Bauchbinde legt einmal mehr Schludrigkeit beim ZDF nahe, weshalb es interessant wäre, von einem Russischkundigen zu erfahren, ob die deutsche Übersetzung überhaupt taugt.

Und auch das ist der dritte Punkt des aktuellen Gorbatschows: Die Presse hat ihre Hand mit im Spiel. Propaganda kann so selbstentlarvend sein, aber gerade die unterschwellige, sachliche-neutrale Verpackung in deutschen Medien macht sie so perfide und gemeingefährlich.

Denn jetzt glaubt jeder: “Gorbatschow hat doch selbst gesagt, daß es solche Versprechungen des Westens zur Nato-Osterweiterung NIE gegeben hat!”


Hat die ZEIT sich das Zitat aus den Fingern gesogen? Das ist denkbar, aber unwahrscheinlich. Möglicherweise hat das ZDF eine Presseerklärung herausgegeben oder ein dpa-Mann war vor Ort und hat das Zitat – so oder ähnlich – mitgeschrieben. Es bleibt aber auch in diesem Fall der Vorwurf unseriöser Berichterstattung, denn die ZEIT erweckt eindeutig den Eindruck, Gorbatschow hätte dies wortwörtlich im ausgestrahlten Interview gesagt. In einer so heiklen Frage ist das völlig inakzeptabel, dient aber der NATO-Propaganda.

Schauen wir doch einmal, was Baker und Genscher damals – als dem Thema noch nicht die Brisanz zukam, wie heute – im Interview gesagt haben:

Baker_Genscher

Genscher: “Wir waren uns einig, dass äh nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir da nicht einverleiben wollen, sondern das gilt ganz generell.”

Es ist also vollkommen klar, dass die NATO-Osterweiterung damals Thema war. Anderes zu behaupten wäre auch völlig weltfremd. Man muss davon ausgehen, dass die SU diesbezüglich Sorgen geäußert hat, und dass der Westen diese Sorgen – mit welchen Formulierungen auch immer – zurückgewiesen hat. Wer heute anderes behauptet, betreibt Propaganda. Gorbatschow ist in dieser Frage ein Verteidigungsbündnis in eigener Sache und die NATO war und ist ein aggressives Werkzeug zur Errichtung einer US-Weltherrschaft.


Quelle und weiterlesen: http://www.propagandaschau.de

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